Projektmanagement und Agilität passen gut zusammen, können aber – in Zusammenhang diskutiert – auch zu grossen Missverständnissen führen. Die Fachgruppe «Agile und Projektmanagement» des spm hat deshalb vorliegende Inhalte erarbeitet, damit Unternehmen und Organisationen einen besseren Überblick im Dschungel der Methoden zwischen den beiden Begriffen erhalten und konkrete Hilfestellungen dazu finden können.
«Agile und Projektmanagement» in Unternehmen
«Projektmanagement» als Begriff ist bestens definiert und beschrieben. «Agilität» hingegen ist ein jüngerer Begriff, welcher in unterschiedlichen Ausprägungen verwendet wird: Dazu gehören Führungsaspekte, Formen der Arbeitssteuerung, ein Mindset oder ganze Frameworks zur Software-Entwicklung. Ein allgemeingültiger Zusammenhang zwischen Agilität und Projektmanagement kann deshalb kaum hergestellt werden.
Zur Differenzierung wird nachfolgend ein Orientierungsmodell eingeführt. Dieses zeigt ein Spektrum an «Kontexten» auf, in welchen sich Unternehmen befinden können. Wird ein klassisches Projekt- und Projektportfoliomanagement betrieben und die Diskussion zu Agilität findet gar nicht oder innerhalb einzelner Projekte statt? Oder wird Agilität als Grundlage für ein ganzes Projekt- oder Portfolio-Design vorausgesetzt? Diese Unterschiede haben einen massgeblichen Einfluss auf die tägliche Arbeit.
Das Orientierungsmodell basiert auf dem Artikel «Agilität trifft Projektmanagement», erschienen in der Zeitschrift Projektmanagement Aktuell, Ausgabe 01 / 2022.
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Das Orientierungsmodell unterscheidet anhand von Merkmalen (Zeilen in der Abbildung) und deren Ausprägungen verschiedene Kontexte (Spalten in der Abbildung), in denen sich ein Unternehmen in Bezug auf Agilität und Projektmanagement befinden kann. Die Kontexte spannen ein Spektrum von möglichen Durchdringungsgraden an Agilität im Unternehmen auf.
Kontext 1: Kein «Agile»
Es liegt eine temporäre Organisation zur Erreichung eines Zieles vor. Das Projekt wird als einmalige, temporäre, multidisziplinäre Organisationen umgesetzt, um die vereinbarten Lieferobjekte innerhalb der gesetzten Anforderungen und Rahmenbedingungen zu erfüllen. Mit einem Projekt wird ein einmaliges Projektziel erreicht.
Kontext 2: Einsatz von einzelnen Werkzeugen aus «Agile» im Projekt
Wie in Kontext 1 liegt eine temporäre Organisation zur Erreichung eines Zieles vor. Das Projekt wird ebenfalls als einmalige, temporäre, multidisziplinäre Organisation umgesetzt. Die Projektleitenden bestimmen über den Einsatz der Werkzeuge des Projektmanagements zur bestmöglichen Erreichung des Projektziels – darunter auch einzelne Werkzeuge aus «Agile».
Kontext 3: «Agile» als Grundlage für das Projektdesign
Wie in den Kontexten 1 und 2 liegt eine temporäre Organisation zur Erreichung eines Zieles vor. Das iterative Vorgehen wird jedoch zur Grundlage der Projektabwicklung, wodurch das gesamte Projekt als Backlog von Elementen beschrieben wird und das Projektziel nicht mehr von vorneherein klar definiert ist. Zudem ist die Rolle der Führung geteilt.
Kontext 4: «Agile» als Grundlage für das Programm- oder Portfoliodesign
Agilität und das Prinzip des „bring work to the people“ wird auf das ganze Programm oder Projektportfolio skaliert. Das heisst insbesondere, die Ressourcen des ganzen Programms oder Projektportfolios sind als agile Teams in permanenten Umsetzungsorganisationen organisiert. Während in Kontext 3 Projekte weiterhin als temporäre Organisationen erkennbar sind, ist das in Kontext 4 nicht mehr der Fall. Umzusetzende Inhalte werden als Arbeitspakete identifiziert, formuliert und durch die Umsetzungsorganisationen bearbeitet.
Form der Beauftragung
Die Form der Beauftragung beschreibt, auf welche Art und Weise der Auftrag für eine Veränderung gegeben wird. Im klassischen Projektmanagement ist dies meist über ein Dokument, den Projektauftrag, welcher zu Beginn des Projektes (respektive in einer Initialisierungsphase) zwischen der Auftraggeber-Rolle und der Projektleiter-Rolle vereinbart wird.
Fluss an Arbeitspaketen
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Organisationsform
Die Organisationsform bedeutet hier die Art und Weise, wie die Veränderung im Unternehmen organisiert wird.
Rolle der Führung
Die Rolle der Führung beschreibt, wie die Führung der Umsetzung von Veränderung im Unternehmen in Rollen abgebildet ist.
Strukturierung des Ablaufs
Die Strukturierung des Ablaufs beschreibt, wie der Ablauf konzeptionell in unterschiedliche Elemente unterteilt wird. Ein «Phasenmodell» (Initialisierung, Setup, …) ist die bekannteste Strukturierung in Projekten. Im vorliegenden Orientierungsmodell umfasst die erste Ausprägung mehrere mögliche Strukturierungsarten. Dies liegt daran, dass zwar z.B. Phasen vorgegeben sein können, innerhalb einer Phase jedoch auch iterativ gearbeitet werden kann.
Einsatz agiler Werkzeuge
Dieses Merkmal ist weniger charakterisierend für die Kontexte als die vorgängig beschriebenen. Es wurde vor allem aufgenommen, um das Orientierungsmodell das vollständige Spektrum abbilden zu lassen. In Realität wird es zwischen den ersten beiden Ausprägungen kaum Unterschiede geben, da die Projektleitung selbst entscheiden kann, ob und wie viele agile Werkzeuge zum Einsatz kommen. (Wir haben noch keine Unternehmung kennengelernt, die agile Werkzeuge per se verboten hätte.)
Projektauftrag legt 3 Ecken des Magischen Dreiecks fest
Der Auftrag für eine Veränderung wird als Projektauftrag zwischen der Auftraggeber-Rolle und der Projektleiter-Rolle vereinbart. Darin sind alle drei Dimensionen des «magischen Dreiecks» des Projektmanagements enthalten und gelten als vereinbart.
Zeit und Kosten fix, Inhalt dynamisch
Der Auftrag für eine Veränderung wird zwischen der Auftraggeber-Rolle und der Projektleiter-Rolle (oder mehreren Rollen bei verteilter Führung) vereinbart. Dabei steht die Grösse der umsetzenden Mannschaft und die Zeit im Vordergrund (Zeit und Budget); die Leistung wird als Backlog gesehen und in der zur Verfügung stehenden Zeit so weit wie möglich bearbeitet. Die Steuerung erfolgt über laufende Priorisierung des Backlogs.
«Fluss» an Arbeitspaketen
Die Umsetzung besteht aus mehreren Backlogs, je nach Grösse der Unternehmung auf verschiedenen Flughöhen. Diese Backlogs beinhalten Arbeitspakete auf der jeweiligen Flughöhe. Die Aufträge werden zu Arbeitspaketen und durchfliessen in einem iterativen Requirements Engineering Prozess diese Backlogs.
Temporäre Organisation je Projekt
In der klassischen Projektmanagement-Lehre wird für jedes Projekt eine eigene, temporäre Organisation gebildet, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Am Ende des Projektes wird diese Organisation wieder aufgelöst und die Ressourcen zurück in die permanente Organisation überführt. Dort stehen sie wieder für andere Aufgaben oder die nächsten Projekte bereit. Oft ist eine einzelne Person gleichzeitig in mehrere Projekte involviert. Diese Organisationsform wird auch «projektorientierte Organisationsform» genannt.
Permanente Organisationen
In agiler Arbeitsweise sind Ressourcen in agilen Teams rund um die Backlogs auf den verschiedenen Flughöhen (vgl. Form der Beauftragung) gebündelt. Dies wird auch als «Produktorientierte Organisation» beschrieben, da jedes agile Team «sein» Produkt und «sein» Backlog hat. Agile Teams sind bei hoher Durchdringung von Agilität im Unternehmen Teil der permanenten Organisation. Sie setzen Teile von Projekten um – nämlich diejenigen Teile, welche ihr Produkt betreffen. Damit haben die agilen Teams eine Existenzgrundlage über einzelne Projekte hinaus.
Konzentrierte Führung
Die Führung ist in einer Rolle konzentriert. In unserem Fall ist es der Projektleiter oder die Projektleiterin, welche alle drei Dimensionen Leistung, Zeit und Budget des Projektes steuert.
Verteilte Führung
Die Führung wird auf verschiedene Rollen verteilt. Jede erhält einen Teil der Verantwortung. Typischerweise wird unterschieden zwischen der inhaltlichen Verantwortung (Prioritäten im Backlog, inhaltlicher Beschrieb der Arbeitspakete) und der methodischen Verantwortung (Arbeitsweise, Teamproduktivität, Prozesse). Teilweise werden auch weitere Rollen definiert.
Phasenweise, iterativ oder adaptiv
Die Projektleitung hat innerhalb von Vorgaben der Unternehmung einen gewissen Spielraum, die Strukturierung des Ablaufs zu gestalten. Sie entscheidet, ob ein phasenweises, iteratives oder adaptives Vorgehen am besten geeignet ist. Das adaptive Vorgehen beschreibt dabei den Wechsel zwischen Vorgehensweisen je nach Projektphase.
Iterativ
Die iterative Strukturierung ist vorgegeben. Sie ist in den Abläufen der permanenten Organisation (agile Teams, «Fluss» an Arbeitspaketen) bereits eingebaut.
Kein Einsatz
Es werden keine agilen Werkzeuge im Projekt eingesetzt.
Teilweiser Einsatz
Agile Werkzeuge werden innerhalb eines klassischen Projektvorgehens teilweise eingesetzt. Dies kann beispielsweise ein Kanban Board zur Arbeitssteuerung sein, Scrum als Arbeitsweise eines Entwicklungsteams oder Daily Standup-Meetings im Projektteam. Der Entscheid über den Einsatz liegt beim Projektleiter bzw. der Projektleiterin.
Konsequenter Einsatz
Das Projekt‑, Programm- oder Portfoliodesign ist auf den konsequenten Einsatz agiler Werkzeuge ausgerichtet.
Abbildung: Orientierungsmodell für Agile und Projektmanagement. In Anlehnung an den Artikel «Agilität trifft Projektmanagement», erschienen in der Zeitschrift «Projektmanagement Aktuell», Ausgabe 01 / 2022
Die Kontexte im Orientierungsmodell setzen sich aus «weniger» und «stärker» agilen Ausprägungen von Merkmalen zusammen. Dabei ist wichtig: Diese Strukturierung ist rein beschreibend zu verstehen und soll der Orientierung dienen. Es ist keine Wertung damit verbunden. Nicht jedes Unternehmen kann oder muss z.B. Kontext 3 oder 4 anstreben.