Die Kontexte 1 bis 4 im Orientierungsmodell beschreiben aus Sicht des Unternehmens mögliche Durchdringungsgrade von Agilität. Die Auseinandersetzung mit den Kontexten und deren Definition kann ein erster Schritt in der Strukturierung der Diskussion zu Agilität sein
1Es liegt eine temporäre Organisation zur Erreichung eines Zieles vor. Das Projekt wird als einmalige, temporäre, multidisziplinäre Organisation umgesetzt, um die vereinbarten Lieferobjekte innerhalb der gesetzten Anforderungen und Rahmenbedingungen zu erfüllen. Mit einem Projekt wird ein einmaliges Projektziel erreicht.
Die permanente Unternehmung beauftragt Projekte unter Beachtung des magischen Dreiecks. Agilität hat keine besondere Bedeutung. Dieser Kontext zeichnet sich durch eine phasenorientierte Umsetzung aus, die linear, inkrementell oder auch iterativ sein kann.
2Es liegt eine temporäre Organisation zur Erreichung eines Zieles vor. Das Projekt wird – wie in Kontext 1 – als einmalige, temporäre, multidisziplinäre Organisation umgesetzt. Die Projektleitenden bestimmen über den Einsatz der Werkzeuge des Projektmanagements zur bestmöglichen Erreichung des Projektziels.
Der relevante Unterschied zu Kontext 1 liegt darin, dass unter diesen Werkzeugen einzelne agile Werkzeuge sind. Dies können einfache Werkzeuge sein, wie z. B. Daily Standup-Meetings oder Kanban Boards zur Arbeitssteuerung, oder aber auch anspruchsvollere Werkzeuge, wie z. B. bei einer Software-Entwicklung, welche im Projekt nach Scrum organisiert wird.
Der Kontext 2 ist in der Praxis durch etablierte Grundlagen des Projektmanagements gekennzeichnet, die mit einzelnen agilen Werkzeugen kombiniert werden.
3Wie in den Kontexten 1 und 2 liegt eine temporäre Organisation zur Erreichung eines Zieles vor. In weiteren Merkmalen ist der Unterschied jedoch deutlich grösser: Das iterative Vorgehen wird zur Grundlage der Projektabwicklung, wodurch das gesamte Projekt als Backlog von Elementen beschrieben wird und das Projektziel nicht mehr von vorneherein klar definiert ist. Daraus folgt, dass die Beauftragung nicht mehr als „magisches Dreieck” erfolgt, denn damit würden Leistung, Zeit, und Budget fixiert und als Auftrag formuliert.
In einem Projekt im Kontext 3 liegt das „umgekehrte“ magische Dreieck vor, wie es häufig mit „agilem Projektmanagement“ in Verbindung gebracht wird. Dieses besagt, dass der Aspekt der Leistung erst im Projektverlauf festgelegt («geschärft») wird. Weiterhin gehört zu einem agilen Projektdesign auch eine andere Organisationsform: Die Rolle der Führung wird auf oberster Ebene der Projektleitung geteilt. Scrum bspw. unterteilt die Führungsrolle in einem Entwicklungsteam in die Rollen des Product Owners (fachliche Führung) und des Scrum Masters (methodische Führung).
Im Kontext 3 wird folglich die Projektleitung in mindestens eine Rolle verantwortlich für Arbeitsweise sowie eine für Inhalt aufgeteilt. Dieser Kontext ist den agilen Skalierungsframeworks nahe (z. B. das Scaled Agile Framework in der „Essential SAFe“ Konfiguration). Insbesondere in der Software-Entwicklung, aber auch in anderen Branchen, ist es oft möglich, ein Projekt so zu gestalten, und damit mehrere Scrum-Teams in der Form eines Projektes zu synchronisieren und auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten.
4Im Kontext 4 wird Agilität und das Prinzip des „Bring work to the people“ auf das ganze Programm oder Projektportfolio skaliert. Das heisst insbesondere, die Ressourcen des ganzen Programms oder Projektportfolios sind als agile Teams in permanenten Umsetzungsorganisationen organisiert. Während in Kontext 3 Projekte weiterhin als temporäre Organisationen erkennbar sind, ist das in Kontext 4 nicht mehr der Fall. Umzusetzende Inhalte werden als Arbeitspakete identifiziert, formuliert und durch die Umsetzungsorganisationen bearbeitet. In Summe wird die erwartete Leistung erbracht.
Als Konsequenz des Kontexts 4 löst sich der Projektbegriff, wie ihn PMI, IPMA oder DIN definiert, auf. Die Aufgaben der Projektleitung werden auf die permanenten Umsetzungsorganisationen in verschiedene Rollen aufgeteilt. Ebenfalls erfolgt ein bedeutender Wechsel in der Form der Beauftragung: Es liegt kein Projektauftrag mehr vor, da die drei Dimensionen Leistung, Zeit und Budget nicht zum Projektstart ermittelt werden können. An die Stelle des Projektauftrages tritt stattdessen ein permanenter Fluss an Arbeitspaketen, respektive ein Zusammenspiel von „Backlogs“ auf verschiedenen Ebenen, da vor allem auf den Nutzen und deren Wirkung beim Kunden Fokus gelegt wird. Dieser Kontext wird in letzter Konsequenz durch die agilen Skalierungsframeworks wie SAFe (in der „Full SAFe“ oder „Portfolio SAFe“ Konfiguration) und LeSS beschrieben.
Allen diesen Frameworks liegt das beschriebene Paradigma des „Bring work to the people“ zugrunde, weshalb sie alle aus Umsetzungsorganisationen und einem Fluss an Arbeitspaketen bestehen.