Anhand der Zeilen und Spalten im Orientierungsmodell wird ersichtlich, worin sich die Kontexte massgeblich unterscheiden. Jede Zeile beschreibt ein Merkmal, dieses Merkmal kann verschiedene Ausprägungen annehmen. Wo steht mein Unternehmen? Die Definition der Merkmale und Ausprägungen kann bei einer ersten Einordnung helfen.
Die Form der Beauftragung beschreibt, auf welche Art und Weise der Auftrag für eine Veränderung gegeben wird. Im klassischen Projektmanagement ist dies meist über ein Dokument, den Projektauftrag, welcher zu Beginn des Projektes (respektive in einer Initialisierungsphase) zwischen der Auftraggeber-Rolle und der Projektleiter-Rolle vereinbart wird.
Im vorliegenden Orientierungsmodell ist die Form der Beauftragung ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen den Kontexten und kann folgende Ausprägungen annehmen:
- Projektauftrag legt drei Ecken fest: Der Auftrag für eine Veränderung wird als Projektauftrag zwischen der Auftraggeber-Rolle und der Projektleiter-Rolle vereinbart. Darin sind alle drei Dimensionen des «magischen Dreiecks» des Projektmanagements enthalten und gelten als vereinbart.
- Zeit und Kosten fix, Inhalt dynamisch: Der Auftrag für eine Veränderung wird zwischen der Auftraggeber-Rolle und der Projektleiter-Rolle (oder mehreren Rollen bei verteilter Führung) vereinbart. Dabei steht die Grösse der umsetzenden Mannschaft und die Zeit im Vordergrund (Zeit und Budget); die Leistung wird als Backlog gesehen und in der zur Verfügung stehenden Zeit so weit wie möglich bearbeitet. Die Steuerung erfolgt über laufende Priorisierung des Backlogs.
- «Fluss» an Arbeitspaketen»: Die Umsetzung besteht aus mehreren Backlogs, je nach Grösse der Unternehmung auf verschiedenen Flughöhen. Diese Backlogs beinhalten Arbeitspakete auf der jeweiligen Flughöhe. Die Aufträge werden zu Arbeitspaketen und durchfliessen in einem iterativen Requirements Engineering Prozess diese Backlogs.
Die Organisationsform bedeutet hier die Art und Weise, wie die Veränderung im Unternehmen organisiert wird. Sie kann folgende Ausprägungen annehmen:
- Temporäre Organisation je Projekt: In der klassischen Projektmanagement-Lehre wird für jedes Projekt eine eigene, temporäre Organisation gebildet, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Am Ende des Projektes wird diese Organisation wieder aufgelöst und die Ressourcen zurück in die permanente Organisation überführt. Dort stehen sie wieder für andere Aufgaben oder die nächsten Projekte bereit. Oft ist eine einzelne Person gleichzeitig in mehrere Projekte involviert. Diese Organisationsform wird auch «projektorientierte Organisationsform» genannt.
- Permanente Organisationen: In agiler Arbeitsweise sind Ressourcen in agilen Teams rund um die Backlogs auf den verschiedenen Flughöhen (vgl. Form der Beauftragung) gebündelt. Dies wird auch als «Produktorientierte Organisation» beschrieben, da jedes agile Team «sein» Produkt und «sein» Backlog hat. Agile Teams sind bei hoher Durchdringung von Agilität im Unternehmen Teil der permanenten Organisation. Sie setzen Teile von Projekten um – nämlich diejenigen Teile, welche ihr Produkt betreffen. Damit haben die agilen Teams eine Existenzgrundlage über einzelne Projekte hinaus.
Die Rolle der Führung beschreibt, wie die Führung der Umsetzung von Veränderung im Unternehmen in Rollen abgebildet ist. Sie kann folgende Ausprägungen annehmen:
- Konzentrierte Führung: Die Führung ist in einer Rolle konzentriert. In unserem Fall ist es der Projektleiter oder die Projektleiterin, welche alle drei Dimensionen Leistung, Zeit und Budget des Projektes steuert.
- Verteilte Führung: Die Führung wird auf verschiedene Rollen verteilt. Jede erhält einen Teil der Verantwortung. Typischerweise wird unterschieden zwischen der inhaltlichen Verantwortung (Prioritäten im Backlog, inhaltlicher Beschrieb der Arbeitspakete) und der methodischen Verantwortung (Arbeitsweise, Teamproduktivität, Prozesse). Teilweise werden auch weitere Rollen definiert.
Die Strukturierung des Ablaufs beschreibt, wie der Ablauf konzeptionell in unterschiedliche Elemente unterteilt wird. Ein «Phasenmodell» (Initialisierung, Setup, …) ist die bekannteste Strukturierung in Projekten. Im vorliegenden Orientierungsmodell umfasst die erste Ausprägung mehrere mögliche Strukturierungsarten. Dies liegt daran, dass zwar z.B. Phasen vorgegeben sein können, innerhalb einer Phase jedoch auch iterativ gearbeitet werden kann:
- Phasenweise, iterativ oder adaptiv: Die Projektleitung hat innerhalb von Vorgaben der Unternehmung einen gewissen Spielraum, die Strukturierung des Ablaufs zu gestalten. Sie entscheidet, ob ein phasenweises, iteratives oder adaptives Vorgehen am besten geeignet ist. Das adaptive Vorgehen beschreibt dabei den Wechsel zwischen Vorgehensweisen je nach Projektphase.
- Iterativ: Die iterative Strukturierung ist vorgegeben. Sie ist in den Abläufen der permanenten Organisation (agile Teams, «Fluss» an Arbeitspaketen) bereits eingebaut.
Dieses Merkmal ist weniger charakterisierend für die Kontexte als die vorgängig beschriebenen. Es wurde vor allem aufgenommen, um das Orientierungsmodell das vollständige Spektrum abbilden zu lassen. In Realität wird es zwischen den ersten beiden Ausprägungen kaum Unterschiede geben, da die Projektleitung selbst entscheiden kann, ob und wie viele agile Werkzeuge zum Einsatz kommen. (Wir haben noch keine Unternehmung kennengelernt, die agile Werkzeuge per se verboten hätte.):
- Kein Einsatz: Es werden keine agilen Werkzeuge im Projekt eingesetzt.
- Teilweiser Einsatz: Agile Werkzeuge werden innerhalb eines klassischen Projektvorgehens teilweise eingesetzt. Dies kann beispielsweise ein Kanban Board zur Arbeitssteuerung sein, Scrum als Arbeitsweise eines Entwicklungsteams, oder Daily Standup-Meetings im Projektteam. Der Entscheid über den Einsatz liegt beim Projektleiter bzw. der Projektleiterin.
- Konsequenter Einsatz: Das Projekt‑, Programm- oder Portfoliodesign ist auf den konsequenten Einsatz agiler Werkzeuge ausgerichtet.