Der Auftraggeber oder die Auftraggeberin ist «die» Ansprechperson im Senior Management für Projektleitende. Mit ihr wird der Projektauftrag vereinbart, an sie wird der Fortschritt rapportiert, sie hilft bei Eskalationen. Wenn ein Unternehmen die Projektarbeit auf eine skaliert-agile Vorgehensweise umstellt, muss sich auch die Rolle des Auftraggebers wandeln.
Veränderungen in der Rolle des Auftraggebers beim Wandel zu skaliert-agiler Projektarbeit
Diese Ausgangslage wird in den Kontexten 1 und 2, teilweise auch in Kontext 3 des Orientierungsmodells angetroffen. Wie aus den gängigen Standards im Projektmanagement bekannt, ist der Auftraggeber oder die Auftraggeberin final für die Ergebnisse des Projektes verantwortlich. Charakterisiert wird die Rolle u.a. durch folgende Elemente:
- Es handelt sich um eine Einzelverantwortung
- Das Mittel zur Beauftragung und Steuerung ist der Projektauftrag, in welchem das Magische Dreieck des Projektmanagement, d.h. Inhalt, Zeit und Budget, festgelegt sind.
- Ansprechpartner für die Umsetzung ist die Projektleitung. Auch dies in einer Einzelverantwortung, das Projektteam zusammenzustellen und den Projekterfolg innerhalb der Seiten des Dreiecks zu liefern.
Aus der Hilfestellung zum Magischen Dreieck des Projektmanagements ist ersichtlich, dass die drei Dimensionen Inhalt, Zeit und Budget in der skaliert-agilen Arbeitsweise nicht mehr als einmalig vereinbartes Ganzes gesehen werden können, sondern auf verschiedene Elemente und Flughöhen aufgeteilt werden. Dies manifestiert sich insbesondere im Übergang zu Kontext 4 im Orientierungsmodell (d.h. sobald Agilität Grundlage für das Portfoliodesign ist). Entlang den beschriebenen Veränderungen im Magischen Dreieck können auch folgende massgebliche Veränderungen in der Rolle des Auftraggebers abgeleitet werden:
- Veränderung in Bezug auf die Einflussnahme auf den Inhalt
- Veränderung in Bezug auf die Einflussnahme auf die Zeit
- Veränderung in Bezug auf die Einflussnahme auf die Leistung
Diese Veränderungen werden nachfolgend beschrieben. Sie haben eine hohe Tragweite und beeinflussen die Rolle massgeblich. Unter anderem deshalb wird in den skaliert-agilen Frameworks dafür ein eigener Rollenbegriff verwendet: Anstelle von «Auftraggeber» wird z.B. im Scaled Agile Framework vom «Business Owner» gesprochen.
Der Auftraggeber ist auch als Business Owner nach wie vor verantwortlich für den Inhalt und prägt diesen. Allerdings verändert sich der Weg der Einflussnahme, wenn eine Unternehmung sich in Kontext 4 des Orientierungsmodells befindet:
- Der Inhalt ist selten von Anfang an in selbem Masse umfassend beschrieben wie in einem klassischen Projektauftrag. Zu Beginn ist er vielmehr meist nur grob umschrieben, und wird im Verlauf der Umsetzung rollierend weiter parallel zum Leistungsfortschritt (z.B. Minimum Viable Product und anschliessende inkrementelle Ergänzungen). Die Auseinandersetzung des Business Owners mit dem Scope ist also im Verlauf der Umsetzung fortlaufend notwendig.
- Die Unternehmung wird bei jeder Umsetzung die Gesamtsicht vor die Sicht des einzelnen Vorhabens stellen. Das bedeutet, dass auch der Inhalt stärker im Gesamtkontext des Unternehmens betrachtet wird. Es kann deshalb sein, dass aus anderen Themen im Unternehmen Teile der Veränderung im Sinne einer Synergie zusammen mit des vom Business Owner gewollten Inhalts umgesetzt werden (typischerweise für Querschnitt-Aspekte wie beispielsweise Software-Architektur, Compliance, Input/Output Management). Für den Business Owner bedeutet das, dass er für seine Themen fortwährend auch Verhandlungspartner für derartige Synergien sein muss.
- Der Business Owner muss sich aktiv in die Umsetzung einbringen, damit seine Vision des Inhalts allen Beteiligten bekannt ist. Dies kann er innerhalb der getakteten Aktivitäten der Umsetzungsorganisationen tun, z.B. in der Terminologie des Scaled Agile Frameworks SAFe durch seine Teilnahme an dem PI Planning Event mit Input für den einleitenden «Business Context».
- Da die längerfristigen Aspekte des Inhalts aus dem «Magischen Dreieck» im Kontext 4 eher in «Strategic Themes» abgebildet werden, hat der eine neue Aufgabe: Zu identifizieren, welche Aspekte seiner Vision ein Teil eines Strategic Themes ist, und einzuwirken, dass sie dort aufgenommen werden. Strategic Themes dienen den Umsetzungsorganisationen als Orientierungshilfe bei der getakteten Planung. Mit der Entwicklung mitreissender Visionen kann der Auftraggeber die strategischen Stossrichtungen wesentlich beeinflussen und damit die für ihn wichtigen «Strategic Themes» priorisieren.
Die Arbeitsweise in Kontext 4 des Orientierungsmodells folgt einem gemeinsamen Takt. Wie ein Scrum Team in 14täglichen Sprints seine Arbeit plant, hat eine grössere agile Umsetzungsorganisation einen Takt – gängig sind hier etwa 10 Wochen. In diesem Takt werden 10wöchige Abschnitte von Epics umgesetzt. Die Erreichung des Inhalts eines Epics setzt sich also aus einem oder mehreren solchen Abschnitten zusammen.
Oft lassen sich weder der Startzeitpunkt noch die Dauer zu Beginn gesichert festlegen. Die Teams arbeiten mit einer getakteten Planung und erarbeiten die erwähnten Abschnitte fortlaufend. Je nach Ergebnis der rollierenden Schärfung des Scopes, der zur Verfügung stehenden Ressourcen und Abhängigkeiten kann die Anzahl notwendiger Abschnitte variieren. Entsprechend kann die Dauer kürzer oder länger ausfallen. Ebenso wenig ist der Startzeitpunkt der Arbeiten direkt durch den Auftraggeber beeinflussbar: Er hängt von der Priorisierung des Themas ab, und diese wird durch das Unternehmen in einem gemeinschaftlichen Entscheid im Rahmen des Portfolios gefällt.
Die Einflussnahme auf die Zeit beschränkt sich damit auf folgende Hebel, womit auch wiederum der neue Rollenbegriff «Business Owner» geprägt wird:
- Der Business Owner kann in der rollierenden Schärfung des Scopes diesen reduzieren. z.B. mittels Akzeptanz eines Minimum Viable Products mit weniger Funktionalität als ursprünglich gewünscht. Damit kann die Fertigstellung oft in weniger Planungszyklen und damit kürzerer Zeit erfolgen.
Der Business Owner kann Einfluss nehmen auf die gemeinschaftliche Planung mittels Teilnahme an den dazugehörigen Events wie dem PI Planning, und mittels guten Designs des Wertbeitrags seines Epics. Je höher dieser ist, desto höher wird das Epic priorisiert werden.
In Kontext 4 des Orientierungsmodells sind die Ressourcen in agilen Umsetzungsorganisationen und damit Teil der permanenten Organisation. Die Ausstattung der Umsetzungsorganisationen mit Ressourcen geschieht in der Gesamtsicht aller Themen im Portfolio, und nicht mit Blick auf ein einzelnes Projekt. Damit wird aus einem direkten ein indirekter Einfluss:
- Durch Einflussnahme auf die gemeinschaftliche Priorisierung (analog in der Dimension Zeit): Je höher die Priorisierung, desto höher die Chance auf eine höhere Kapazität in der Umsetzung.
- Durch Einflussnahme auf weitere Steuerungsparameter des Projektportfolios, insbesondere die Investitionsbandbreiten (auch «Guardrails» genannt): Die meisten Unternehmen, welche sich in Kontext 4 befinden, legen in ihren Planungsprozessen solche Investitionsbandbreiten für Themen fest. Im Scaled Agile Framework SAFe z.B. mit dem Instrument der Value Streams. Business Owner sind entweder sowieso durch die Unternehmung in diesen Prozess eingebunden, oder können den Prozess im Unternehmen identifizieren und mitsprechen.
Der Blog-Artikel Kapazitätsmanagement im Lean Portfolio Management (Link ausserhalb der spm Webseite) führt in die Notwendigkeit eines vorausschauenden Kapazitätsmanagements für skaliert-agile Organisationen ein.
Die Veränderungen in der Einflussnahme eines Auftraggebers auf die Dimensionen Inhalt, Zeit und Budget sind wie beschrieben beträchtlich im Übergang zu Kontext 4. Sie sind grösser, als die meisten Unternehmen glauben, wenn sie die Reise in Richtung skaliert-agiler Arbeitsweise beginnen. In Kontext 4 ist deshalb ein ganz neuer Rollenbegriff gängig, welcher als Ersatz für die Auftraggeberrolle gesehen werden kann: Der Business Owner.
Der Auftraggeber wird also zum Business Owner. Damit gehen die vorgängig beschriebenen Veränderungen in der Art der Einflussnahme auf die Umsetzung einher. Und damit wird auch – aus der Erfahrung der Mitglieder der Fachgruppe – ein verändertes Profil an Fähigkeiten für den Rolleninhaber gefordert:
- Weniger Kontrolle, mehr Vertrauen in dezentrale Entscheidfindung
- Weniger Besitzanspruch, mehr gemeinschaftliche Verantwortung
- Weniger Führung durch eigene Entscheide und detaillierte Aufträge„ mehr Einflussnahme und Stakeholder-Management
Diese Veränderung der Fähigkeiten kann eine grosse Herausforderung sein für Unternehmen – da gerade Kontrolle, Besitzanspruch und Führung viele Senior Manager dorthin gebracht haben wo sie sind. Was sie mit mehr Agilität jedoch mehr loslassen lernen müssen.
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